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Europäische Richtlinie zur Entgelt­transparenz zwischen Männern und Frauen

22.04.2024

Am 06. Juni 2023 ist die europäische „Richtlinie zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Lohntransparenz und Durchsetzungsmechanismen“, kurz Entgelttransparenzrichtlinie („EntgTranspRL“) in Kraft getreten. Die Regelungen der EntgTranspRL sind umfassend und gehen über die derzeit geltenden Vorgaben des deutschen Entgelttransparenzgesetzes („EntgTranspG“) hinaus. Entsprechend sind nun die Mitgliedstaaten am Zug, die EntgTranspRL bis zum 07. Juni 2026 in nationales Recht umzusetzen. Wir geben nachfolgend einen Überblick über die wesentlichen Unterschiede zwischen geltendem und künftigem Recht.

Kern des EntgTranspG

Bereits 2017 wurde in Deutschland das derzeit geltende EntgTranspG eingeführt, um die Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen durchzusetzen. Hierzu sieht das Gesetz bisher insbesondere drei Instrumente vor.

  • Zum einen haben Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeitenden einen individuellen Auskunftsanspruch in Bezug auf die im Arbeitgeberunternehmen geltenden Kriterien und Verfahren zur Entgeltfindung sowie das für ihre jeweilige Tätigkeitsgruppe gezahlte Vergleichsentgelt.
  • Zum anderen besteht eine Berichtspflicht zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit für Unternehmen (ab 500 Beschäftigte), die lageberichtspflichtig sind.
  • Schließlich werden solche Unternehmen „aufgefordert“, betriebliche Prüfungsverfahren zur Entgeltgleichheit durchzuführen.

Die EntgTranspRL zielt nun ebenfalls auf die Durchsetzung der Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern ab und soll diese durch Entgelttransparenz und Durchsetzungsmechanismen stärken. Hierbei geht sie in ihrem Regelungsgehalt jedoch zum Teil weit über die bisherigen gesetzlichen Regelungen hinaus.

Im Einzelnen sieht die EntgTranspRL insbesondere folgende Maßnahmen vor:

Entgelttransparenz vor der Beschäftigung (Art. 5 EntgTranspRL)

Das EntgTranspG greift in Deutschland derzeit erst ab dem Zeitpunkt des Beschäftigungsbeginns. Im Gegensatz hierzu sieht Art. 5 Abs. 1 der EntgTranspRL bereits für Bewerber (m/w/d) ein Recht auf Entgelttransparenz vor, indem Arbeitgeber verpflichtet werden, Bewerbern Informationen (i) über das Einstiegsentgelt für die betreffende Stelle oder dessen Spanne sowie (ii) gegebenenfalls über die einschlägigen Bestimmungen eines anwendbaren Tarifvertrags bereitzustellen. Die Bereitstellung der Informationen muss dabei so rechtzeitig erfolgen, dass der Bewerber in die Lage versetzt wird, fundierte und transparente Gehaltsverhandlungen im Vorfeld der Arbeitsvertragsunterzeichnung zu führen.

Praxishinweis: Diese Informationspflicht trifft jeden Arbeitgeber, unabhängig von dessen Mitarbeiterzahl und auch unabhängig von einem Auskunftsverlangens des Bewerbers.

Die Informationen sind so bereitzustellen, dass fundierte und transparente Verhandlungen über das Entgelt gewährleistet werden, wie beispielsweise in einer veröffentlichten Stellenausschreibung, vor dem Vorstellungsgespräch oder auf andere Weise. In den Erwägungsgründen der EntgTranspRL wird jedoch klargestellt, dass diese Informationspflicht nicht dazu dienen soll, die Verhandlungsmacht der Arbeitsvertragsparteien in irgendeiner Weise einzuschränken. Es bleibt diesen weiterhin vorbehalten, ein Gehalt auch außerhalb der angegebenen Spanne auszuhandeln.

Neben dieser Informationspflicht untersagt Art. 5 Abs. 2 der EntgTranspRL es dem Arbeitgeber zudem explizit, Bewerber nach ihrer Entgeltentwicklung in ihren laufenden oder früheren Beschäftigungsverhältnissen zu befragen.

Informationspflichten (Art. 6 EntgTranspRL)

Auch im laufenden Arbeitsverhältnis soll die Entgelttransparenz durch die EntgTranspRL verbessert werden. Entsprechend sieht Art. 6 Abs. 1 der EntgTranspRL vor, dass Arbeitgeber ihre Mitarbeitenden unaufgefordert darüber informieren müssen, welche Kriterien für die Festlegung

  • ihres Entgelts,
  • ihrer Entgelthöhen und
  • ihrer Entgeltentwicklung

verwendet werden. Konkretisiert wird diese Informationspflicht zudem dadurch, dass es sich zwingend um objektive und geschlechtsneutrale Kriterien handeln muss.

In welcher konkreten Form die entsprechenden Informationen zur Verfügung gestellt werden müssen, ist in der EntgTranspRL hingegen nicht geregelt. In Art. 6 Abs. 1 heißt es lediglich, dass dies „in leicht zugänglicher Weise“ geschehen muss.

Praxishinweis: Diese Pflicht trifft alle Arbeitgeber, unabhängig von ihrer Mitarbeiterzahl, sodass auch mittlere und Kleinstunternehmen grundsätzlich erfasst sind. Die EntgTranspRL sieht jedoch vor, dass die Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der Richtline ins nationale Recht hierzu eine Ausnahmeregelung für Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitenden treffen können.

Vergleich zum EntgTranspG: Das bedeutet eine deutliche Verschärfung im Vergleich zum EntgTranspG. Denn bislang haben Mitarbeitende danach nur auf Anfrage einen Auskunftsanspruch hinsichtlich der Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung und auch nur in Betrieben mit mindestens 200 Mitarbeitenden. Ein weiterer Unterschied zwischen den aktuellen gesetzlichen Regelungen und der EntgTranspRL besteht darin, dass sich die Informationspflicht in Art. 6 der EntgTranspRL nicht nur (i) auf die Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung in Bezug auf die Festlegung des individuellen Entgelts des jeweiligen Mitarbeitenden bezieht, sondern (ii) auf alle Kriterien, die der Arbeitgeber für die Festlegung des Entgelts, der Entgelthöhen und der Entgeltentwicklung aller seiner Mitarbeitenden verwendet.

Individuelles Auskunftsrecht (Art. 7 EntgTranspRL)

Neben der Informationspflicht in Art. 6 sieht die EntgTranspRL in Art. 7 Abs. 1 zusätzlich einen individuellen Auskunftsanspruch der Mitarbeitenden vor. Der Arbeitgeber hat danach den Mitarbeitenden auf Verlagen schriftlich Auskunft über

  • ihre individuelle Entgelthöhe und
  • aufgeschlüsselt nach Geschlecht – über die durchschnittlichen Entgelthöhen für die Gruppen von Mitarbeitenden, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten,

zu erteilen.

Diese Informationen muss der Arbeitgeber spätestens innerhalb von zwei Monaten ab dem Tag des Auskunftsverlangens zur Verfügung stellen (vgl. Art. 7 Abs. 4).

Vergleich zum EntgTranspG: Ein ähnlicher individueller Auskunftsanspruch ist bereits das zentrale Instrument des deutschen EntgTranspG (§§ 10 ff.).

Unterschiede bestehen jedoch insbesondere in Bezug auf den Inhalt des Anspruchs. So bezieht sich der derzeit bestehende Auskunftsanspruch nach dem EntgTranspG – anders als die EntgTranspRL – nicht auf die durchschnittliche Entgelthöhe, sondern auf den statistischen Median als „Vergleichsentgelt“. Hinzukommt, dass der Auskunftsanspruch nach der EntgTranspRL allen Mitarbeitenden zusteht und – anders als die bisherigen deutschen Vorschriften – nicht von einer Mindestbeschäftigtenzahl abhängt.

Um sicher zu stellen, dass die Mitarbeitenden von diesem Auskunftsanspruch tatsächlich Gebrauch machen können, sieht die EntgTranspRL zudem eine Pflicht des Arbeitgebers vor, die Mitarbeitenden jährlich auf deren Auskunftsanspruch hinzuweisen (vgl. Art. 7 Abs. 3).

Berichtspflichten (Art. 9 EntgTranspRL)

Weiter verschärft die EntgTranspRL spürbar die auch derzeit schon bestehenden Berichtspflichten nach dem EntgTranspG.

Vergleich zum EntgTranspG: Bislang sieht § 21 Abs. 1 EntgTranspG eine Berichtspflicht ausschließlich für private Arbeitgeber mit in der Regel mehr als 500 Mitarbeitenden vor, wenn sie nach §§ 264, 289 HGB zur Erstellung eines Lageberichts verpflichtet sind.

Art. 9 Abs. 1 der EntgTranspRL weitet diese Pflicht – nach einer Übergangsfrist – auf alle Arbeitgeber mit mindestens 100 Mitarbeitenden aus. Zukünftig müssen dementsprechend erheblich mehr Arbeitgeber in bestimmten (gestaffelten) Fristen und (Mindest-)Abständen Bericht erstatten über das Entgeltgefälle zwischen ihren Mitarbeitenden.

Neben dieser Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs, sieht die EntgTranspRL auch inhaltlich eine Erweiterung der Berichtspflichten vor. Mussten Arbeitgeber bisher lediglich über die getroffenen Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern sowie zur Herstellung von Entgeltgleichheit berichten, so müssen die Berichte zukünftig (zusätzlich) folgende Informationen enthalten:

a) das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle,

b) das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle bei ergänzenden und variablen Bestandteilen,

c) das mittlere geschlechtsspezifische Entgeltgefälle,

d) das mittlere geschlechtsspezifische Entgeltgefälle bei ergänzenden und variablen Bestandteilen,

e) der Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ergänzende oder variable Bestandteile erhalten,

f) der Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in jedem Entgeltquartil und

g) das geschlechtsspezifische Entgeltgefälle zwischen Arbeitnehmern bei Gruppen von Arbeitnehmern, nach dem normalen Grundlohn oder -gehalt sowie nach ergänzenden oder variablen Bestandteilen aufgeschlüsselt.

Sämtliche der vorgenannten Informationen müssen Arbeitgeber der hierfür von den Mitgliedsstaaten zu benennenden Überwachungsstelle mitteilen, die diese zur Überwachung und Sensibilisierung sammelt und (unter anderem auf einer leicht zugänglichen Website) veröffentlicht. Die Informationen unter lit. a) bis f) können die Arbeitgeber zudem auf der eigenen Website veröffentlichen oder sie auf andere Weise – z.B. im Lagebericht – öffentlich zugänglich machen. Verpflichtend müssen die Arbeitgeber ferner die in lit. g) genannten Informationen allen ihren Mitarbeitenden, deren Vertretungen sowie – auf Ersuchen – der Arbeitsaufsichtsbehörde und der Gleichbehandlungsstelle zur Verfügung stellen.

Gemeinsame Entgeltbewertung (Art. 10 EntgTranspRL)

Als ein völlig neues Instrument sieht Art. 10 Abs. 1 der EntgTranspRL die Pflicht zur Vornahme einer gemeinsamen Entgeltbewertung von Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretern nach einem vorgegebenen Verfahren vor. Voraussetzung hierfür ist, dass (i) in den Berichten ein Lohngefälle zwischen den Geschlechtern von über 5 % festgestellt wurde, (ii) der Arbeitgeber dieses Gefälle nicht durch objektive Kriterien rechtfertigen kann und (iii) es nicht innerhalb von sechs Monaten korrigiert. Besteht im Unternehmen des Arbeitgebers keine Arbeitnehmervertretung können die Mitgliedsstaaten regeln, dass diese für den Zweck der gemeinsamen Entgeltbewertung von den Mitarbeitenden zu benennen sind. Im Rahmen der Entgeltbewertung soll die bestehende Entgeltsituation analysiert und Maßnahmen festgelegt werden, um bestehende Entgeltunterschiede anzugleichen. Die gemeinsam erarbeitete Entgeltbewertung hat der Arbeitgeber den Mitarbeitenden, den Arbeitnehmervertretern sowie der – zukünftig zu schaffenden – Überwachungsstelle zu übersenden.

Anspruch auf Schadensersatz und Entschädigung (Art. 16 EntgTranspRL)

Gemäß Art. 16 der EntgTranspRL müssen die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser in nationales Recht sicherstellen, dass Mitarbeitende, die durch die Verletzung von Rechten oder Pflichten im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts einen Schaden erlitten haben, Schadensersatz oder Entschädigung erhalten. Dies umfasst

  • die vollständige Nachzahlung entgangener Entgelte (inkl. damit verbundener Boni oder Sachleistungen) sowie
  • Schadensersatz für entgangene Chancen, immaterielle Schäden und andere relevante Schäden, die mitunter durch eine Kombination mehrerer Diskriminierungsgründe entstehen können, inklusive Verzugszinsen.

Anders als z.B. für Verstößen gegen das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz („AGG“) vorgesehen, darf der Schadensersatz oder die Entschädigung nach der EntgTranspRL nicht durch eine vorab festgelegte Obergrenze beschränkt werden.

Beweislastumkehr (Art. 18 EntgTranspRL)

Können Mitarbeitende Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Entgeltdiskriminierung vermuten lassen, muss der Arbeitgeber nachweisen, dass keine derartige Diskriminierung vorliegt. Eine derartige Beweislastumkehr kennt das deutsche Recht bereit im AGG (vgl. § 22 AGG), sodass diese Beweislastumkehr bereits heute über § 2 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG im Rahmen der Entgeltgleichheitsklage Anwendung findet.

Zudem müssen die Mitgliedstaaten gemäß der EntgTranspRL sicherstellen, dass der Arbeitgeber auch bei Nichterfüllung seiner Transparenzpflichten nach den Art. 5, 6, 7, 9 und 10 im Rahmen von Entgeltgleichheitsklagen nachweisen muss, dass keine Diskriminierung vorliegt. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber nachweist, dass der Verstoß offensichtlich unbeabsichtigt und geringfügig war (vgl. Art. 18 Abs. 2 Satz 2 EntgTranspRL). Eine vergleichbare Regelung findet sich in § 15 Abs. 5 Satz 1 EntgTranspG bisher nur für den Fall, dass der Arbeitgeber die Erfüllung seiner Auskunftspflicht unterlässt.

Sanktionen (Art. 23 EntgTranspRL)

Zuletzt verpflichtet die EntgTranspRL die Mitgliedstaaten, „wirksame, verhältnismäßige und abschreckende“ Sanktionen für die Verletzung der Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts festzulegen. Solche Sanktionen können z.B. Geldbußen sein, die sich an der gesamten jährlich zu zahlenden Entgeltsumme des Arbeitgebers orientieren. Bislang sieht das EntgTranspG keine vergleichbaren Sanktionen vor. Es bleibt daher abzuwarten, welche Sanktionen der deutsche Gesetzgeber in das EntgTranspG aufnehmen wird.

Ausblick

Die von den Mitgliedsstaaten bis zum 07. Juni 2026 umzusetzende EntgTranspRL sieht weitreichendere Pflichten und einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand gegenüber dem bislang geltenden EntgTranspG vor. Zwar besteht für Arbeitgeber in Deutschland noch kein zwingender Handlungsbedarf, solange die EntgTranspRL noch nicht in nationales Recht umgesetzt wurde. Das bedeutet jedoch nicht, dass nicht bereits heute Maßnahmen zur Herstellung von Lohngleichheit getroffen werden sollten. Denn bereits heute ist das Gebot des gleichen Entgelts von Männern und Frauen für gleiche und gleichwertige Arbeit durch das deutsche EntgTranspG gesetzlich verankert. Die Zeit bis zur Umsetzung der EntgTranspRL sollten Arbeitgeber daher nutzen, um sich auf die neuen Verpflichtungen vorzubereiten und ihre Entgeltstrukturen auf geschlechtsspezifische Entgeltdiskriminierung hin zu überprüfen und in diesem Zuge gegebenenfalls anzupassen.